IST MEIN GESICHT NORMAL?
Als Kurs- und Seminarleiterin bin ich es seit Jahren gewohnt im Fokus der Teilnehmer*innen zu sein. In der Rolle als Teilnehmerin ist das anders und so war ich überrascht, als mich ein junger Mann, ich nenne ihn mal Hans (Name natürlich von der Redaktion geändert 😉), nach einer Sitzung direkt ansprach und mich etwas fragen wollte. Ich würde sehr viel lächeln, meinte er. So viel, dass es ihm aufgefallen sei. Ob mir das bewusst sei? Ob das bei mir natürlich sei, dass meine Mundwinkel sehr oft oben seien? Ob das auch so wäre, wenn ich entspannt bin?
Meine erste Reaktion war: „Oh danke, das ist ja ein schönes Feedback.“ Einen heimlichen Augenblick lange habe ich mein Gesicht erforscht und festgestellt, dass ich richtig drücken muss, wenn ich meine Mundwinkel nach unten haben will. Ich dachte einen Moment nach und sagte weiter zu Hans, dass ich diese Rückmeldung im Laufe meines Lebens schon öfter bekommen habe: „Ich glaube, ich hatte Glück, denn ich bin wohl schon damit zur Welt gekommen. Und ich meine es auch wirklich ernst mit der Lebensfreude.“ Wie auch immer, ich habe die Frage freudig aufgenommen und konnte diese schöne Stimmung gleich in meine nächste Gruppe mitnehmen. Danke Hans!
Das war noch nicht alles, denn es schien ein Gesichts-Tag zu sein. Eine Frau, die später bei mir war, erzählte mir ebenfalls eine Gesichts-Feedback-Erfahrung. Ihre Selbstwahrnehmung war weit entfernt von dem, was ein zufälliges Gegenüber ihr spontan rückgemeldet hatte. Gibt es ein „Gewohnheitsgesicht“, das man neuronal abgespeichert mit sich trägt, einfach weil man es häufig benutzt hat? Eine Art „Normalgesicht“, das automatisiert wurde? Wir spielten noch etwas mit dem Thema und auch mit unseren Gesichtern. Ich habe viel gelernt und viel gelacht.
Doch dann veränderten sich meine Gedanken auf dem Nachhauseweg etwas. Im Gespräch mit Hans sagte ich auch, dass ich mein Lächeln in der Vergangenheit manchmal als Versteck benutzt hatte. Um nicht mit all dem wahrgenommen zu werden, was ich lieber für mich oder sogar in mir behalten wollte. Als mir mein Gesicht dann zuhause im Garderobenspiegel begegnete, meldete sich meine fiese Kritikerin zu Wort: Ist dieses sogenannte Lächeln vielleicht eher ein dämliches Grinsen? Wirkt es an manchen Stellen sogar dumm? Soll ich es mir eher abgewöhnen, um ernsthafter zu wirken? Es ist interessant, wie sich ein Lächeln mit diesen Gedanken verändert. Wie es einen schmerzhaft bitteren Geschmack bekommen kann.
Ich habe mich dann freundlich mit meiner fiesen Kritikerin beschäftigt, sie entspannte sich und ich konnte mein Lächeln wieder richtig genießen. Das ist jetzt erst ein paar Tage her und ich habe seither viele Fragen über Gesicht und Lächeln gestellt, viele bereichernde Geschichten gehört und viele Gedanken gesammelt.
Am liebsten wäre mir ja, wenn Lächeln so normal wäre, dass in einer Runde diejenigen auffallen, die nicht lächeln. Als normal empfinden wir immer das, was wir häufig sehen oder tun. Ich finde mein Lächeln normal!
Wie ist das bei dir? Willst du deine Gedanken mit mir teilen? Schreib mir 👍